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Der Aufstieg des Populismus
In diesem und dem nächsten Artikel beschäftigen wir uns mit Populismus und insbesondere mit den Wählern von populistischen Parteien – wer sie sind und welche Wahlmotive sie haben. Sie werden sich vielleicht denken: „Was hat das mit Wirtschaft zu tun?“ Sie werden sehen, dass uns die Analyse der Wähler von populistischen Parteien direkt ins Zentrum der wichtigsten wirtschaftspolitischen Probleme führt. Haben Sie bitte noch ein wenig Geduld!
Der Aufstieg des Populismus in Europa ist die größte Veränderung der politischen Landkarte seit dem Fall der Berliner Mauer.[1] Die Bedeutung dieser Entwicklung ist kaum zu überschätzen.[2]
Die Medien sind voll von Berichten über populistische Parteien. Die Diskussion ist aber häufig sehr emotional und wenig sachlich. Wenn über Populismus geschrieben wird dann häufig nur über den Rechtspopulismus und kaum über den Linkspopulismus. Von den anderen Parteien und den meisten Medien wird in der Diskussion zumeist die Gefahr der populistischen Parteien für die Demokratie hervorgehoben. Viel zu wenig werden – unserer Meinung nach – die Wähler der populistischen Parteien und deren Wahlmotive analysiert. Wenn man sich damit beschäftigen würde, könnte man die Frage „Worüber sind die „Wutbürger“ wütend?“ beantworten und danach prüfen, ob ihre „Wut“ berechtigt ist. Als falsch und ungerecht empfinden wir auch die Wähler populistischer Parteien einfach als „Dumm“ zu bezeichnen weil sie im Schnitt weniger Schulbildung haben als die Wähler anderer Parteien. Für das Empfinden von Ungerechtigkeit braucht es keine besondere Schulbildung!
Wir wollen in diesem und den nächsten Artikeln – ganz im Stil von Future Aid – sachlich und unvoreingenommen den Aufstieg der Populisten analysieren und die Frage „Ist die Wut der Wutbürger berechtigt?“ beantworten.
Zunächst müssen wir aber klären, was wir hier unter Populismus überhaupt verstehen[3].
Da alle Parteien versuchen Wähler zu gewinnen zeigen alle Parteien mehr oder weniger populistisches Verhalten. Populistisches Verhalten ist nichts grundsätzlich Schlechtes, solange es keine dauerhaften negativen Auswirkungen hat und solange es ein Ausdruck ist, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen.
Populismus als Verhalten: Populistisches Verhalten zielt darauf ab möglichst viele Wähler zu gewinnen
Etwas ganz anderes ist Populismus als Ideologie!
Populismus als Ideologie:[4] Populistische Parteien sind sehr unterschiedlich – von weit „linken“ politischen Ideen (Podemos in Spanien, Sysriza in Griechenland) bis zu weit „rechten“ Ideen (Fidesz in Ungarn, PiS in Polen). Was aber allen Populistischen Parteien gemeinsam ist, sind folgende Merkmale:
Wenn wir in diesem Artikel von Populismus sprechen dann immer von Parteien die eine populistische Ideologie vertreten!
Wie stark sind Populistische Parteien in Europa geworden?[5]
Populistische Parteien werden von vielen als Bedrohung der politischen Ordnung und Demokratie gesehen. Wir sehen uns nun an, wie sich populistische Parteien in Europa[6] von 1980 bis 2016 entwickelt haben.
Wir betrachten dabei alle freien demokratischen Staaten[7] in Europa (EU und Island, Norwegen, Schweiz, Serbien und Montenegro). Alle autoritär regierten Staaten in Europa sind in den Ergebnissen nicht enthalten (Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegovina, Moldavien).
Die Linkspopulisten haben von 1980 bis 2006 kontinuierlich von unter 10% auf 3,7% verloren. Seit 2011 hat sich ihr Anteil aber nahezu verdoppelt.[8]
Die rechtspopulistischen Parteien waren 1980 nahezu unbedeutend. Ab Ende der 80er Jahre stieg ihr Anteil aber kontinuierlich auf heute ca. 12%.
Wenn man beide Gruppen zusammenzählt, erhält man das Bild in Grafik 22.4. Betrug der Anteil der populistischen Parteien von 1980 bis 2000 konstant um die 11% so stieg er von 2000 bis 2016 auf 18,7%.
Dies bedeutet heute wählt nahezu jeder Fünfte in Europa Parteien, die eine populistische Ideologie vertreten.
Die mit Abstand größte Partei – die Nichtwähler!
Der Aufstieg des Populismus wird in den Medien und der Öffentlichkeit breit diskutiert. Eine zweite politische Entwicklung ist unserer Ansicht nach genauso bedeutend, wird aber viel weniger beachtet – die ständige Zunahme der Nichtwähler.
Sehen wir uns zunächst die Entwicklung der Wahlbeteiligung in Österreich für einen sehr langen Zeitraum 1950-2016 an und vergleichen wir diese Entwicklung mit der Wahlbeteiligung in den bevölkerungsreichsten Ländern Europas – Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien.
Die Wahlbeteiligung in Österreich lag immer über der in den 4 europäischen Ländern. Dies insbesondere, weil die Wahlbeteiligung in Deutschland und Frankreich historisch etwas niedriger ist als in Österreich.
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass - je nach Land - jeder 3. bis jeder 4. Wahlberechtigte nicht mehr am politischen Geschehen teilnimmt!
Um die Dimensionen des Populismus und der Wahlenthaltung richtig einschätzen zu können, haben wir im nächsten Schritt eine etwas andere Betrachtung gewählt. Die Frage ist: „Wie viele Bürger werden eigentlich noch von klassischen Parteien vertreten?“
Die normale Berichterstattung über Wahlergebnisse führt zu einem falschen Eindruck, wenn man die Nichtwähler nicht berücksichtigt. Ein Beispiel soll dies zeigen – bitte beachten Sie die untenstehende Tabelle:
Warum ist das überhaupt wichtig? Wenn die Wahlbeteiligung sehr gering ist, dann kann eine zahlenmäßig relativ kleine Gruppe relativ viel an Stimmen und Mandaten gewinnen und einen großen politischen Einfluss gewinnen. Mit anderen Worten:
Eine geringe Wahlbeteiligung kann dazu führen, dass eine Minderheit politische Macht über eine Mehrheit der Bevölkerung erringt!
Sehen wir uns jetzt für die gesamte EU an wie viele Bürger Nichtwähler sind und wie viele Bürger von populistischen und traditionellen Parteien vertreten werden.[13] Bitte beachten Sie dazu die untenstehnde Tabelle.
Die wesentlichsten Ergebnisse:
Die zunehmende Wahlenthaltung und der Aufstieg der Populisten werden als Bedrohung der Demokratie gesehen. Wenn das stimmt, haben wir ein beachtliches Problem!
Bleiben Sie dran – hören Sie nicht auf zu lesen!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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[1] Timbro Populismus Index 2016 S. 4
[2] Wir beschränken uns in diesem Artikel auf Europa, weil uns dies direkter betrifft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Aufstieg des Populismus auf Europa beschränkt ist – denken Sie nur an Donald Trump und die USA.
[3] Der Begriff Populismus und Populist wird sehr unterschiedlich verwendet. Von einem Schimpfwort für politische Gegner bis zu einer Ideologie. Siehe Wikipedia:Populismus
[4] In diesem Artikel können Populistische Parteien nur sehr grob beschrieben werden. Eine hervorragende Beschreibung was populistische Parteien kennzeichnet, befindet sich in: Timbro Populismus Index 2016 S. 4-12. (Englisch).
[5] Die Daten stammen aus der hervorragenden Studie Timbro Populismus Index 2016. Diese Studie über Populismus wird jährlich von der Denkfabrik EPICENTER European Policy Information Center beauftragt und von einem seiner sechs Mitglieder - dem schwedischen TIMBRO - durchgeführt.
[6] Obwohl mit Donald Trump die USA nun sogar von einer eindeutig populistischen Regierung geführt werden, beschränken wir uns hier auf Europa, da die USA in vielen politischen Belangen anders sind.
[7] Timbro verwendet zur Einteilung der Staaten in demokratische und nicht demokratische die Ergebnisse des jährlichen Demokratieberichts von Freedom House – ein Bericht und eine Organisation, die Sie bereits aus Artikel 14 kennen.
[8] Hauptsächlich durch die Erfolge in Griechenland, Spanien und Italien.
[9] Timbro Populismus Index 2016 S. 17
[10] Timbro Populismus Index 2016 S. 19
[11] Timbro Populismus Index 2016 S. 21
[12] Die Daten stammen von der Website Parties and Elections. Diese Website beinhaltet unseres Wissens nach die umfassendste Sammlung von Wahlergebnissen aller europäischen Länder und zusätzlich mit Wahlbeteiligung und einer politischen Einordnung aller Parteien. Um die Grafik besser lesbar zu machen, haben wir für Österreich und die anderen 4 Länder die durchschnittliche Wahlbeteiligung für jedes Jahrzehnt eingezeichnet.
[13] Wir haben für die Tabelle jeweils die gesamte Einwohnerzahl eines Landes genommen, weil uns die Zahl der Wahlberechtigten nicht zugänglich war. In der Tabelle haben wir in der Spalte NW+POP den Anteil der Nichtwähler mit dem Anteil der Populisten zusammengezählt. Der Grund ist, weil diese Bevölkerungsgruppen Ähnlichkeiten aufweisen, die wir im nächsten Artikel erläutern werden. In den ersten 2 Zeilen der Tabelle sind die Werte für die gesamte EU dargestellt. Dazu werden die Wahlergebnisse in den einzelnen Ländern mit der Einwohnerzahl multipliziert. Die Prozentwerte eines Landes mit z.B. 60 Mio. Einwohnern fließt daher mit dem 6 fachen Wert ins Ergebnis ein, wie die Prozentwerte eines Landes mit z.B. 10 Mio. Einwohnern. Man nennt dies einen „gewichteten Mittelwert“. In unserem Fall führt nur dieser zu sinnvoll interpretierbaren Ergebnissen.
[14] Es wurden die Wahlergebnisse der letzten Parlamentswahl vor 2017 in allen Ländern berücksichtigt. Die Wahlergebnisse und die Wahlbeteiligung stammen aus Parties and Elections. Die Zuordnung zu traditionellen und populistischen Parteien stammt aus Timbro Populismus Index 2016. Eigene Berechnungen.
© Peter Jöchle 2017