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Vorwort
Dies ist der erste Sonderartikel von Future Aid.
Was sind Sonderartikel?
Future Aid Artikel werden in einer bewussten Reihenfolge geschrieben, um die wichtigsten Themen unserer Zeit zu behandeln. Die Hauptartikel vermitteln Wissen wollen aber bewusst auch Botschaften vermitteln und Meinung bilden. Das heißt, es werden Bewertungen vorgenommen „gut oder schlecht“. Im Gegensatz dazu vermitteln Sonderartikel nur Wissen und keine Bewertungen. Dieses Wissen ist aber hilfreich oder notwendig um Hauptartikel zu verstehen.
Einleitung
Seit der großen Flüchtlingswelle 2015 dominiert das Thema Flüchtlinge und Migranten die öffentliche Diskussion in vielen europäischen Staaten. Manchmal hat man den Eindruck, als ob es kaum noch andere Themen gibt, die wichtig sind. Die Diskussion wird oft sehr emotional geführt und das Thema entscheidet in diesen Jahren über den Ausgang von Wahlen in vielen europäischen Ländern. Wenn man mit Menschen über dieses Thema spricht, merkt man sehr schnell, dass die Begriffe häufig unterschiedlich verwendet werden und für viele Menschen sind Flüchtlinge, Vertriebene und Migranten oft ein und dasselbe. Für eine sachliche und vernünftige Diskussion über dieses Thema ist das nicht hilfreich.
Wie wir in Artikel 23 - Die Wähler populistischer Parteien und die Nichtwähler - Wer sie sind und wie sie denken - gezeigt haben, ist die Angst vor zu vielen Ausländern, Fremden, Flüchtlingen etc. auch ein wesentliches Wahlmotiv für die Wähler populistischer Parteien, weil sie fürchten, noch mehr zu Verlierern zu werden als sie es ohnehin schon geworden sind.
Dass viele Menschen nicht richtig zwischen Flüchtlingen, Vertriebenen und Migranten unterscheiden können, ist nicht ihre Schuld. Es ist auch uns von Future Aid nicht gelungen eine klar verständliche Erklärung zu finden wer wer ist. Die Medien, die uns das eigentlich erklären sollten, erfüllen diese Aufgabe nicht oder nur unzureichend.
In Future Aid werden wir uns in Zukunft immer wieder mit den Menschengruppen Flüchtlinge-Vertriebene-Migranten beschäftigen. Daher erscheint es uns sehr hilfreich zumindest einmal diese Begriffe verständlich zu erklären und die Unterschiede und Überschneidungen zwischen den Gruppen zu beschreiben[1]. Wir entwickeln das vollständige Bild anhand einer sich erweiternden Grafik.
Flüchtlinge
Die erste und bekannteste Gruppe sind die eigentlichen Flüchtlinge nach der Genfer-Flüchtlingskonvention[2]. Die internationale Organisation, die sich für Flüchtlinge einsetzt, ist die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR[3].
Um als Flüchtling anerkannt zu werden, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein[4]:
Drei große Missverständnisse gibt es häufig im Zusammenhang mit Flüchtlingen:
Ende 2016 gab es weltweit ca. 22,5 Mio. Flüchtlinge nach UNHCR-Definition.[8]
Vertriebene
Vertriebene sind die weitaus größere Gruppe als die „echten“ Flüchtlinge. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten wollen wir anhand folgender Grafik erläutern:
Die große Gemeinsamkeit besteht darin, dass sowohl Flüchtlinge als auch Vertriebene ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, sondern dazu gezwungen wurden. Der Zwang kann drei Ursachen haben, wobei die Grenzen oft fließend sind:
Alle die innerhalb des Heimatstaates flüchten werden als Binnenvertriebene bezeichnet.
„Binnenvertriebene sind Personen oder Personengruppen, die gezwungen wurden zu fliehen oder gezwungen wurden ihre Häuser oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verlassen. Dies geschieht insbesondere als Folge von oder um Folgendes zu vermeiden:
Diese Menschen haben bei ihrer Flucht keine Staatsgrenze überschritten“.[9]
Nachdem Zwang das Gemeinsame mit Flüchtlingen ist, ist die Flucht im eigenen Staat das Trennende. Während für Flüchtlinge nur Verfolgung als anerkannter Fluchtgrund gilt, gelten für Vertriebene wesentliche mehr Fluchtgründe.
Das Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) ist die internationale Organisation die die Entwicklung der Binnenflüchtlinge weltweit beobachtet.[10] Das IDMC beschäftigt sich somit um die Felder 3 und 4 in obiger Grafik.
So wie es die Genfer Flüchtlingskonvention gibt, gibt es für Binnenvertriebene Leitlinien der UN aus dem Jahr 2001 – sie sind nur kein Vertrag, sondern nur Empfehlungen.[11]
Die besonders kritische Gruppe der Vertriebenen sind jene im Feld 2 der obigen Grafik. Es sind einerseits Vertriebene, weil sie gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen,
Sie werden nicht einmal gezählt, keine UN-Organisation kümmert sich um sie und sie können von Staaten wie „freiwillige“ Migranten behandelt werden.[12]
Sehen wir uns die aktuellen Zahlen an:
Feld 3:
Feld 4:
Auswanderer und Rückkehrer:
Bei allen 3 Gruppen – Flüchtlingen, Vertriebenen und Migranten – können wir unterscheiden in Befristete und Dauerhafte. Die Dauerhaften verlassen ihre Heimat für immer und werden als Auswanderer bezeichnet. Die Befristeten kehren nach unterschiedlich langer Zeit (einige Monate bis mehrere Jahre) wieder in ihre Heimat zurück.
Migranten
Die dritte Gruppe sind die Migranten.
Der große Unterschied zu den Flüchtlingen und Vertriebenen besteht darin, dass die Migranten ihre Heimat mehr oder weniger freiwillig verlassen um ihre Lebensgrundlage zu verbessern. Wie schon oben erwähnt ist es natürlich sehr schwierig zu unterscheiden ab wann man migriert um zu überleben oder um besser zu leben.
Die „echten“ Migranten verlassen ihren Staat zeitweilig oder dauerhaft (Feld 5). Die mit Anstand größte Zahl sind aber die Menschen, die innerhalb ihres Staates an einen anderen Wohnort ziehen (Feld 6). Dazu gehören auch Menschen, die z.B. von Wien in die Steiermark übersiedeln.
Die International Organization for Migration (IOM)[14] ist als UN Migrationsagentur die international Organisation die sich mit Migration beschäftigt und die Entwicklungen beobachtet.
Analyse der „Fremden“ in der Welt
Das Thema Ausländer dominiert die politische Diskussion der letzten Jahre und ist inzwischen für den Ausgang vieler europäischer Parlamentswahlen entscheidend geworden. Wir wissen aus Artikel 23, dass nahezu die Hälfte (47%) der europäischen Bevölkerung der Ansicht ist, dass es in ihrem Land zu viele Ausländer gibt. Das Thema Ausländer kann und soll daher nicht ignoriert werden – egal wie man persönlich dazu steht. Was aber absolut notwendig erscheint, ist ein Blick auf die Realitäten um die Diskussion von der emotionalen Ebene auf die sachliche Ebene zu lenken. Future Aid analysiert daher hier die „Fremden in der Welt“. Wir werden in späteren Artikeln auf diese Ergebnisse zurückgreifen.
Warum bezeichnen wir das Thema als „Fremde in der Welt“?
Diese Sicht halten wir für unzureichend!
Begründung:
Die Fakten über die „Fremden“
Obwohl Prozentzahlen meistens aussagekräftiger sind, fangen wir trotzdem auch mit absoluten Zahlen an, um ein Gefühl für die Dimensionen zu erhalten.
Wenn wir die Länder betrachten in denen es die meisten Ausländer gibt, so fällt Folgendes auf:
Was können wir erkennen:
Wir wechseln die Sichtweise und sehen uns an welche Länder die meisten Auswanderer haben.
Es fällt Folgendes auf:
In den bisherigen Analysen standen absolute Zahlen im Vordergrund – Länder mit einer eher kleinen Bevölkerung hatten keine Chance in die beiden letzten Grafiken zu kommen. Wie wir einleitend geschrieben haben, erkennt man Probleme besser mit Prozentzahlen.
Einige Ergebnisse sehen wir uns jetzt an[19]:
Länder mit hohem Ausländeranteil
Ein hoher Ausländeranteil ist kein grundsätzliches Problem, wenn die Bevölkerung dies gewohnt ist und damit zurechtkommt.
Staat |
Ausländeranteil |
|
in % |
United Arab Emirates |
88 |
Singapore |
46 |
Hong Kong (China) |
39 |
Saudi Arabia |
37 |
Jordan |
33 |
Lebanon |
32 |
Switzerland |
30 |
Australia |
29 |
Israel |
24 |
Canada |
21 |
Kazakhstan |
20 |
Austria |
19 |
Sweden |
18 |
United States of America |
15 |
Norway |
15 |
Germany |
15 |
United Kingdom |
13 |
Spain |
13 |
Libya |
12 |
France |
12 |
Netherlands |
12 |
Denmark |
11 |
Belarus |
11 |
Ukraine |
11 |
Belgium |
11 |
Greece |
11 |
Italy |
10 |
Länder mit hoher negativer Nettomigration
Was ist negative Nettomigration? Wir haben gesehen, dass viele Staaten hohe Einwanderung und hohe Auswanderung haben (z.B. Großbritannien). Dann bleibt die Bevölkerungszahl annähernd stabil. Die Nettomigration ergibt sich, wenn wir von den Einwanderern die Auswanderer abziehen. Es gibt aber auch Länder, die nur eine hohe Auswanderung haben aber nahezu keine Einwanderung. Dann ist die Nettomigration hoch negativ. Ein Beispiel: 100.000 sind eingewandert aber 2.000.000 sind ausgewandert. Dann beträgt die Nettomigration -1.900.000 Menschen. Länder mit hoher Nettomigration sind überspitzt formuliert:
Staat |
Nettomigration |
|
in % |
Syrian Arab Republic |
-32 |
El Salvador |
-24 |
Lao People's Democratic Republic |
-18 |
Romania |
-16 |
Bulgaria |
-16 |
Cuba |
-13 |
Portugal |
-13 |
Afghanistan |
-13 |
Somalia |
-13 |
Eritrea |
-12 |
Haiti |
-11 |
Poland |
-11 |
Paraguay |
-10 |
Auch hier lassen sich klare Muster erkennen:
Fremde in Österreich
Zum Schluss dieses Artikels geben wir Ihnen noch Informationen zu Fremden in Österreich:
Einwohner: 8.735.453 100%
Ausländer: 1.660.283 19%
Auswanderer: 586.161 6,7%
Nettomigration: 1.074.122 12,3%
Wichtigste Herkunftsländer:
Deutschland 246.000
Serbien 215.000
Türkei 204.000
Bosnien-Herzegowina 171.000
Rumänien 77.000
Polen 73.000
Tschechien 61.000
Ungarn 49.000
Kroatien 44.000
Wichtigste Auswanderungsländer:
Deutschland 258.000
Schweiz 68.000
Australien 21.000
Kanada 20.000
Großbritannien 18.000
Türkei 17.000
Italien 17.000
Schlusswort
Wir hoffen, mit diesem ersten Sonderartikel unser Ziel erreicht zu haben:
Das Wichtigste, das wir mit diesem Artikel erreichen wollen ist, dass Sie die emotional geführte Ausländerdiskussion mit Wissen verfolgen können und damit Sie sich eine fundierte eigene Meinung bilden können!
Bleiben Sie dran – hören Sie nicht auf zu lesen!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Weiter mit Artikel 25
[1] Da wir nichts Vergleichbares gefunden haben, glauben wir, dass die Erläuterungen und die Darstellung hier bei Future Aid einzigartig sind!
[2] Wenn sie die Genfer Flüchtlingskonvention im deutschen Original lesen wollen, können sie dies hier: Genfer Flüchtlingskonvention.
[3] UNHCR bedeutet “United Nations High Commissioner for Refugees”. Die Flüchtlingsagentur der UN wurde 1950 gegründet. Die Website finden Sie hier: UNHCR
[4] Die Definition finden Sie z.B. auf der Website der UNHCR Österreich: Definition Flüchtlinge
[5] Das bedeutet konkret, dass jemand der z.B. aus Afganistan, dem Irak oder Syrien flieht, nicht automatisch ein anerkannter Flüchtling ist. Ein syrischer Flüchtling muss z.B. glaubhaft machen, dass er vom syrischen Regime bedroht wird. Das UNHCR will, dass auch Kriegsflüchtlinge generell als Flüchtlinge anerkannt werden. Es gibt aber nach wie vor Staaten, die dies ablehnen.
[6] Wir werden später sehen, dass die Zahl der Flüchtlinge die im Land bleiben, aber viel größer ist als die Zahl derer, die über eine Grenze fliehen.
[7] Wir werden später aber sehen, dass die Zahl der „Klimaflüchtlinge“ die Zahl der anerkannten Flüchtlinge bereits übersteigt.
[8] Quelle: UNHCR - Flüchtlinge 2016. Davon sind 17,2 Mio. unter UNHCR-Mandat und 5,3 Mio. palästinensische Flüchtlinge, die bei der UNRWA registriert sind. Es handelt sich um Flüchtlinge insgesamt und nicht nur um jene, die in diesem Jahr dazugekommen sind. Einen interaktiven Überblick über die Entwicklung der Flüchtlingszahlen seit 1950 bietet die UNHCR: Entwicklung Flüchtlingszahlen
[9] Eigene Übersetzung der internationalen Definition aus 1998. Was ist ein Binnenvertriebener (in Englisch).
[10] Das IDMC ist Teil des Norwegian Refugee Council (NRC) und wurde von der UN-Vollversammlung 1998 mit der heutigen Aufgabe betraut. Mehr zum IDMC: IDMC
[11] Die Leitlinien finden Sie hier: Guiding Principles on Internal Displacement
[12] Genau das ist das Problem bei den vielen afrikanischen Flüchtlingen, die versuchen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen. „Wegfall der Lebensgrundlagen“ ist natürlich ein dehnbarer Begriff. Hunger, Arbeitslosigkeit und Armut sind kein Wegfall der Lebensgrundlagen – insbesondere dann nicht, wenn sie nicht durch Gewalt oder Katastrophen ausgelöst wurden.
[13] Das IMDC gibt jährlich einen Bericht heraus. Der letzte aus 2017 berichtet über die Situation in 2016. Der Bericht ist sehr lesenswert aber in Englisch. Quelle: Global Report on Internal Displacement 2016 S. 12 und 25
[14] Hier finden Sie mehr über die International Organization for Migration.
[15] Die IOM definiert Migranten als alle Menschen die ihren gewohnten Aufenthaltsort verlassen unabhängig vom Grund. Hier finden Sie Definitionen zum Thema Migration: Key Migration Terms. Daher beinhalten die folgenden Zahlen auch Flüchtlinge und Vertriebene. Da wir die Zahl der Vertriebenen die Ländergrenzen überschreiten nicht kennen – siehe oben – können wir von der Zahl der Migranten auch nicht die Zahlen der beiden anderen Gruppen abziehen.
[16] Die IOM veröffentlicht regelmäßig World Migration Reports. Der letzte verfügbare ist der World Migration Report 2018. Das ist etwas irreführend, weil die Daten darin nur bis 2015 reichen. Der Bericht liefert auf 350 Seiten umfassende Informationen über alle drei Gruppen – Flüchtlinge-Vertriebene-Migranten. Die Daten stammen aus: World Migration Report 2018 S. 13.
[17] Quelle: World Migration Report 2018 S. 15.
[18] Die Daten dieses Teils des Artikels stammen von der UN Population Division. Die UN veröffentlicht regelmäßig Daten über internationale Migration. Die letzten Daten stammen aus 2017. Zur Tabelle kommen Sie über diese Website der UN: Migration Welt 2017. Future Aid stellt Ihnen die Tabelle auf der Website für eigene Analysen zur Verfügung.
[19] Für diese Berechnungen haben wir nur Länder herangezogen, die mehr als 5 Mio. Einwohner haben. Sonst hätte eine lange Liste kleinster Inselstaaten das Bild vollkommen verzerrt.
© Peter Jöchle 2018